Myopie / Kurzsichtigkeit
Die Myopie oder Kurzsichtigkeit ist ein Brechungsfehler des Auges, der mittels Brille oder Kontaktlinse ausgeglichen werden kann. Wir haben Ihnen Ursachen und Behandlungsmöglichkeiten zusammengestellt.
Was versteht man unter Myopie?
Die Myopie oder Kurzsichtigkeit ist ein Brechungsfehler des Auges. Es kommt zu einer unscharfen Abbildung beim Blick in die Ferne, während nahe gelegene Objekte scharf gesehen werden können1. Betroffene scheinen einen „kurzen Blick“ zu haben, da sie nur in der Nähe scharf sehen. Die Myopie ist der häufigste Brechungsfehler und ihr Vorkommen steigt bei Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen in Industrienationen in den letzten Jahren immer weiter an2. In Deutschland werden derzeit bis zum 25. Lebensjahr etwa 45% der Bevölkerung myop3. Einen ausgeprägten Anstieg der Myopie konnte man in Deutschland in den vergangenen Jahren jedoch erfreulicherweise (noch?) nicht beobachten4.
Wie wird die Myopie behandelt?
Der aus der Kurzsichtigkeit resultierende Sehfehler lässt sich mit einer Brille ausgleichen. Die Brillengläser korrigieren den Brechungsfehler des Auges und es kommt wieder zu einer scharfen Abbildung von Gegenständen in der Ferne. In der Nähe arbeitet das so korrigierte Auge dann wie das Auge eines Normalsichtigen: durch die sogenannte Akkommodation werden Objekte in der Nähe durch Anspannung eines im Augeninneren gelegenen Muskels “scharf” gestellt.
Welche Folgen hat eine Myopie?
Neben der Notwendigkeit, eine Sehhilfe (Brille oder Kontaktlinse) zu tragen – eine für die meisten Betroffenen gut hinnehmbare Einschränkung – kann die Kurzsichtigkeit aber auch zu weiteren, schwieriger zu behebenden Folgen führen. Insbesondere bei höhergradiger Kurzsichtigkeit steigt im Alter das Risiko für Netzhautablösungen, Gefäßneubildungen unterhalb der Makula (=Stelle des schärfsten Sehens) und die Entwicklung eines Grünen Stares (=Glaukom) an. Auch eine Linsentrübung (=Grauer Star / Katarakt) tritt bei Kurzsichtigen früher auf. Aus diesem Grund wird die weltweite Zunahme von Kurzsichtigen5 mit Sorge beobachtet. Insbesondere einige Staaten Südostasiens steuern mittlerweile aktiv dagegen an.
Welche Möglichkeiten der Vorbeugung / Prävention gibt es?
Prävention durch Verhaltensänderung
Eine Verzögerung, möglicherweise auch Vermeidung der Entwicklung einer Kurzsichtigkeit ist durch längere Aufenthalte im Freien möglich.
In mehreren wissenschaftlichen Untersuchungen konnte nachgewiesen werden, dass Kinder, die sich über längere Zeiträume (2-3 Stunden/Tag) im Freien aufhielten, deutlich seltener eine Kurzsichtigkeit entwickelten als Kinder, die weniger häufig im Freien waren. In Taiwan wurde aus diesem Grund eine Verordnung erlassen, die einen verpflichtenden Aufenthalt von 2h im Freien für Schulkinder beinhaltet. Weiterhin sieht die Verordnung vor, dass das Lesen alle 30 Minuten für 10 Minunten unterbrochen werden soll6.
Aus welchem Grund der Aufenthalt im Freien die Entwicklung einer Myopie beeinflusst ist nicht abschließend geklärt. Sicher ist der Effekt des Tageslichtes. Es konnte in zahlreichen Studien gezeigt werden, dass helles Licht die Entstehung von Brechungsfehlern der Augen reduzieren kann. Während an einem wolkenlosen Tag Sonnenlicht bis zu 100.000 Lux erreicht werden (im Schatten immerhin noch > 10.000), sind für Büroarbeitsplätze lediglich 500 Lux vorgeschrieben7.
Der australische Myopie-Forscher Ian Morgan empfiehlt, Kinder mindestens 3 Stunden täglich mindestens 10.000 Lux auszusetzen, um die Entstehung einer Kurzsichtigkeit zu vermeiden.
Atropin zur Behandlung der Kurzsichtigkeit
Atropin, ein natürlicher Inhaltsstoff der Tollkirsche, wird bereits seit Jahrhunderten in der Medizin angewandt8 und findet in der Augenheilkunde insbesondere zur Erweiterung der Pupille verwendet. Bereits länger wurde ein Einfluss der Substanz auf die Entstehung und Fortentwicklung der Kurzsichtigkeit diskutiert.
In einer groß angelegten Studie von Augenärzten aus Singapur mit 400 teilnehmenden Kindern im Alter von 6-12 Jahren wurden Atropin-Augentropfen in unterschiedlichen Dosierungen (0,5%, 0,1% und 0,01%) in ihrer Wirksamkeit verglichen. Hierbei zeigte die niedrigste Dosierung (0,01%) eine gute Wirkung bei nur sehr seltenem Auftreten von Nebenwirkungen und einen langanhaltenden Effekt auch nach dem Absetzen der Therapie. Ingsamt war die Verträglichkeit der Tropfen gut: nur sehr wenige der Kinder äußerten allergische Bindehautentzündungen oder eine gestiegene Blendempfindlichkeit9.
Während der Wirkmechanismus noch nicht vollständig geklärt ist, so ist doch bekannt dass eine Reduktion des Fortschreitens der Kurzsichtigkeit bei bis zu 50% der Behandelten gelingt. Allerdings ist auch festzuhalten, dass ca. 10% der Kinder nicht auf die Therapie reagieren (sogenannte non-responder). Alle bisher verfügbaren Daten stammen aus großen asiatischen Studien. Kleinere Fallserien lassen jedoch eine Übertragbarkeit auf Kinder europäischer Abstammung erwarten. Da bisher kein pharmazeutisches Unternehmen eine offizielle Zulassung von Atropin Fertig-Augentropfen für die Behandlung der Kurzsichtigkeit bei Kinder zugelassen hat, handelt es sich um einen sogenannten off-label-use. Die Kosten der Therapie werden in aller Regel nicht durch die gesetzlichen Krankenversicherungen übernommen.
Zum aktuellen Zeitpunkt wird die Therapie mit niedrig dosierten Atropin-Augentropfen gemäß den Empfehlungen des Bundesverbands der Augenärzte (BVA) sowie der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft (DOG) empfohlen für Kinder im Alter zwischen 6 und 14 Jahren mit einem Fortschreiten der Kurzsichtigkeit von mehr als 0,5 Dioptrien pro Jahr.
Kontaktlinsen
Herkömmliche Brillengläser stellen aufgrund der typischen Bauform kurzsichtiger Augen vermutlich einen (geringen) Reiz für eine weitere Progression der Kurzsichtigkeit dar.
Durch eine zusätzliche Bildebene für die periphere Netzhaut, welche zum Beispiel mit speziellen Kontaktlinsen erreicht werden kann, wird eine Reduktion des Fortschreiten der Kurzsichtigkeit versucht. Der Effekt liegt nach Studien bei ca. 0,2 Dioptrien/Jahr10.
Spezielle Brillengläser
Seit dem Jahr 2021 sind auf dem deutschen Markt spezielle Brillengläser verfügbar, die auf dem gleichen Funktionsprinzip wie die zuvor beschriebenen Kontaktlinsen beruhen.
Diese Brillengläser ermöglichen in der optischen Achse eine scharfe Abbildung, während die weiter außen liegenden Netzhautanteile, die für die zentrale Sehschärfe nicht erheblich sind, bewusst etwas unterkorrigiert werden, um den Wachstumsreiz des Augapfels zu reduzieren.
Die praktischen Erfahrungen mit diesen Gläsern in Europa sind noch eingeschränkt. Aus in Asien durchgeführten Studie liegen jedoch ermutigende Ergebnisse vor11.
Individuelles Myopie-Management erforderlich
Zusammenfassend stehen heute eine zunehmende Zahl medikamentöser und optischer Möglichkeiten zur Verfügung, welche eine Verlangsamung des Fortschreitens der Kurzsichtigkeit ermöglichen sollen.
Die spezifischen Vor- und Nachteile der Therapie müssen jeweils im Einzelfall mit dem behandelnden Augenarzt / der behandelnden Augenärztin abgestimmt und erörtert werden. Allen Verfahren gemein ist, dass wesentliche Untersuchungen an asiatischen Kindern durchgeführt wurden und sich möglicherweise nicht 1:1 auf europäische Kinder übertragen lassen. Weiterhin ist allen Verfahren gemein, dass eine Kostenübernahme durch die gesetzlichen Krankenversicherungen in aller Regel nicht gegeben ist und das Ansprechen auf die Therapie individuellen Schwankungen unterliegt bzw. im Einzelfall auch nicht gegeben sein kann (sogenannter non-responder).
Referenzen / weiterführende Informationen
Eine übersichtliche Zusammenfassung des aktuellen Kenntnisstandes zur Therapie der Myopieprogression mittels Atropin finden Sie auf den Seiten der AIM-Studie der Augenklinik Freiburg.
E. Dolgin: Nature volume 519, pages 276–278 (2015) doi: 10.1038/519276a↩︎
Williams, K.M. et al.: Eur J Epidemiol. 2015 Apr;30(4):305-15. doi: 10.1007/s10654-015-0010-0. Epub 2015 Mar 18↩︎
A. Schuster et al.: Dtsch Arztebl Int 2020; 117: 855-60; DOI: 10.3238/arztebl.2020.0855↩︎
Holden, B.A. et al.: Ophthalmology. 2016 May;123(5):1036-42. doi: 10.1016/j.ophtha.2016.01.006. Epub 2016 Feb 11. ↩︎
Wu, PC. et. al.: Ann Eye Sci 2018;3:12., doi: 10.21037/aes.2018.01.05↩︎
A. Chia et al.: Ophthalmology 2012 Feb;119(2):347-54. doi: 10.1016/j.ophtha.2011.07.031↩︎
W. Lagrèze et al.: Dtsch Arztebl Int 2017; 114: 575-80; DOI: 10.3238/arztebl.2017.0575↩︎
C. Lam et al.: British Journal of Ophthalmology Published Online First: 17 March 2021. doi: 10.1136/bjophthalmol-2020-317664↩︎